Was geschieht mit der Psyche in der Trauer 

Trauer ist eine zutiefst menschliche und komplexe Reaktion auf einen Verlust, sei es der Tod eines geliebten Menschen, der Verlust eines Arbeitsplatzes, einer Beziehung oder einer Lebensphase. Sie beeinflusst die Psyche auf vielfältige Weise und kann sich in einem breiten Spektrum von Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen äußern. Es ist wichtig zu verstehen, dass Trauer ein individueller Prozess ist und es kein "richtiges" oder "falsches" Trauern gibt.

Hier sind einige Aspekte, wie die Psyche in der Trauer reagiert:

1. Emotionale Reaktionen:

* Tiefe Traurigkeit und Verzweiflung: Dies ist oft die offensichtlichste Emotion. Sie kann überwältigend sein und sich in Weinen, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit äußern.

* Sehnsucht: Ein starkes Verlangen nach der verlorenen Person oder dem Verlorenen.

* Schock und Ungläubigkeit: Besonders nach einem plötzlichen Verlust können Betroffene wie betäubt sein und Schwierigkeiten haben, die Realität des Verlustes zu erfassen. Manchmal empfindet man eine innere Leere oder Taubheit.

* Wut und Zorn: Diese Gefühle können sich gegen sich selbst, andere, das Schicksal oder sogar den Verstorbenen richten. Man fühlt sich vielleicht ungerecht behandelt oder fragt sich "Warum ich?".

* Schuldgefühle: Gedanken darüber, was man hätte anders machen können, ungesagte Worte oder verpasste Gelegenheiten.

* Angst und Sorgen: Zukunftsängste, Angst vor dem Alleinsein, vor weiteren Verlusten oder davor, den Schmerz nicht ertragen zu können.

* Einsamkeit: Das Gefühl, allein mit dem Schmerz zu sein, auch wenn man von Menschen umgeben ist.

* Erleichterung: In manchen Fällen, besonders nach einer langen Krankheit des Verstorbenen, kann sich auch ein Gefühl der Erleichterung einstellen. Dies ist normal und bedeutet nicht, dass man den Verstorbenen nicht geliebt hat.

* Freude und Lachen: Auch in der Trauer gibt es Momente der Freude oder des Lachens. Dies ist wichtig und zeigt, dass das Leben weitergeht, auch wenn der Schmerz präsent ist.

2. Kognitive Reaktionen (Gedanken und Denken):

* Gedankenkreisen (Grübeln): Ständiges Nachdenken über den Verlust, die Umstände des Verlustes und die verstorbene Person.

* Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten (Brainfog): Viele Trauernde beschreiben einen Zustand, in dem sie sich gedanklich benebelt fühlen, sich schlecht konzentrieren können und Dinge vergessen. Dies ist eine häufige Reaktion auf den psychischen Stress der Trauer.

* Gefühl der Unwirklichkeit: Manchmal fühlt sich die Welt unwirklich oder verändert an.

* Sinnlosigkeit: Der Verlust kann dazu führen, dass man den Sinn im Leben oder den eigenen Handlungen infrage stellt.

* Anwesenheitsgefühl: Manche Trauernde haben das Gefühl, die verstorbene Person sei noch anwesend.

* Entscheidungsschwierigkeiten: Alltägliche Entscheidungen können überwältigend erscheinen.

3. Verhaltensbezogene Reaktionen:

* Sozialer Rückzug: Das Bedürfnis, sich von anderen abzuschotten, da man sich missverstanden fühlt oder die Energie für soziale Interaktionen fehlt.

* Weinen: Eine natürliche und wichtige Entlastungsreaktion.

* Ruhelosigkeit und Überaktivität: Manchmal versucht man, den Schmerz durch ständige Beschäftigung oder körperliche Aktivität zu verdrängen.

* Müdigkeit und Erschöpfung: Die psychische Belastung der Trauer ist immens und kann zu großer körperlicher und geistiger Erschöpfung führen.

* Schlafstörungen: Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen, Albträume oder frühes Erwachen.

* Appetitveränderungen: Sowohl Appetitlosigkeit als auch "Frustessen" können auftreten.

4. Physiologische (körperliche) Reaktionen:

Trauer ist nicht nur ein psychischer, sondern auch ein körperlicher Prozess. Die Psyche und der Körper sind eng miteinander verbunden:

* Brustbeklemmung, Herzrasen, Kurzatmigkeit: Symptome, die an Panikattacken erinnern können.

* Magen-Darm-Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit.

* Muskelschwäche und Gliederschmerzen.

* Erhöhte Infektanfälligkeit: Chronischer Stress durch Trauer kann das Immunsystem schwächen.

* Kopfschmerzen.

Phasenmodelle der Trauer (als Orientierung, nicht starr):

Oft wird Trauer in Phasen beschrieben (z.B. nach Elisabeth Kübler-Ross oder Verena Kast), die als Orientierung dienen können, aber nicht linear durchlaufen werden müssen:

* Nicht-Wahrhaben-Wollen / Schock: Eine Phase der Betäubung, in der der Verlust geleugnet oder nicht vollständig erfasst werden kann.

* Aufbrechende Emotionen: Wut, Schmerz, Zorn, Schuldgefühle und Verzweiflung treten intensiv auf.

* Suchen, Finden und Sich-Trennen: Man beschäftigt sich intensiv mit dem Verlust, sucht Erinnerungen, stellt die Beziehung zum Verstorbenen neu her und beginnt langsam, sich zu lösen.

* Neuer Selbst- und Weltbezug / Akzeptanz: Der Verlust wird in das Leben integriert, man findet langsam wieder Orientierung und einen neuen Sinn. Der Schmerz bleibt oft als Erinnerung, tritt aber in den Hintergrund.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Phasen nicht linear verlaufen und sich Emotionen wellenförmig abwechseln können. Man kann zwischen den Phasen hin- und herspringen, oder auch Jahre nach dem Verlust wieder in intensive Trauerphasen zurückfallen (z.B. an Jahrestagen oder zu bestimmten Anlässen).

Wann professionelle Hilfe suchen?

Obwohl Trauer ein normaler Prozess ist, kann sie manchmal in eine komplizierte oder prolongierte Trauer übergehen, die professionelle Unterstützung erfordert. Anzeichen dafür sind:

* Anhaltende, sich verschlimmernde Depression oder Hoffnungslosigkeit.

* Selbstmordgedanken oder Selbstverletzungsabsichten.

* Unfähigkeit, alltägliche Aufgaben zu bewältigen (Arbeit, Haushalt, Körperpflege).

* Extreme soziale Isolation über einen längeren Zeitraum.

* Anhaltende, intensive Sehnsucht nach dem Verstorbenen, die das Leben stark beeinträchtigt.

Insgesamt ist Trauer ein tiefgreifender psychischer Prozess, der alle Ebenen des menschlichen Seins berührt und Zeit, Geduld und oft auch Unterstützung erfordert.