Ohh …. Ihnen ist es bestimmt aufgefallen, bei der Trauerbriefpost hat sich ein Fehler eingeschlichen,
Walter Liese ist natürlich in Berlin-Lichterfelde geboren und nicht in Hamburg
Ein Leben für die Forschung ist zu Ende gegangen
Professor, Dr. Walter Liese
geb. 31. Januar 1926 in Berlin-Lichterfelde
gest. 24. Februar 2023 Reinbek
„Bambus Papst“ oder „Mr. Bamboo“
„Der Bambus wiegt sich im Wind und biegt sich im Sturm aber er bricht nicht. “
Sei wie der Bambus.
Beuge und biege dich anmutig
und du wirst niemals brechen.
Weisheit aus Japan
Walter und Katrin in Indien
Die Urnenbeisetzung wird im engsten Familienkreise erfolgen.
Andreas, Claudia und Timo
Anstatt von Blumen bittet Walter Liese um eine Spende zugunsten der Stiftung Holzwirtschaft
(Stichwort „Walter Liese Stipendium“)
Holzwirtschaft Hamburg IBAN: DE72 2005 0550 1502 8615 43, BIC: HASPDEHHXXX
Kondolenz bitte an:
Andreas Liese
andreas.j.liese@gmail.com
Waldmünchener Straße 3
81549 München
„Der Bambus wiegt sich im Wind und biegt sich im Sturm aber er bricht nicht. “
WALTER LIESE ERINNERUNGEN
Stand 6. Oktober 2013
Geboren am 31. Januar 1926 gehöre ich zu den Jahrgängen, die durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre geprägt wurden. Meine Entwicklung verdanke ich starken Persönlichkeiten und glücklichen Zufällen. In Berlin- Lichterfelde geboren, ist die Heimat Eberswalde, 35 km nördlich von Berlin gelegen und bekannter durch die Forstliche Lehre und Forschung, sowie die Eberswalder Spritzkuchen. Die Großeltern gehörten mütterlicherseits zum Berliner Großbürgertum, der Großvater leitete die Patentabteilung von IG. Farben und schrieb über „Die künstliche Seide“, väterlicherseits waren die Vorfahren Bauern, Handwerker und Lehrer in der Mark Brandenburg und der Großvater Konrektor.
Mein Vater war Professor für Forstbotanik an der Forstlichen Hochschule Eberswalde. Er vereinte große Leistungskraft mit preußischem Pflichtbewusstsein und hat in meiner Jugenderinnerung eigentlich immer gearbeitet, auch abends. Seine Sekretärin kam oft nach dem Abendbrot zum Diktat. Er war mein großes Vorbild, auch wenn in Letzterem ich ihm nicht folgte. Doch die vorgelebte Arbeitspflicht und Arbeitsfreude haben mein Leben beeinflusst. Mit Kriegsbeginn wurde der Vater eingezogen, er war in Frankreich im Einsatz, u.a. in Bordeaux, mit Kontakten zu dem Termitenforscher Prof. Feytaud, der ihm Termiten für die eigene Termitenstation in Eberswalde vermittelte. Nach einem Jahr wurde er für weitere Untersuchungen zum „Vierjahresplan“ als „u.k.“ (unabkömmlich) freigestellt.
Mein Bruder Dieter verstarb an seinem 3. Geburtstag an Kinderlähmung. Schwester Hildegard wurde am 3. Dezember 1933 geboren.
Die Schulzeit auf dem Humanistischen Gymnasium wurde seit der Untertertia durch den Krieg beeinträchtigt und die Nächte waren zunehmend durch vermehrten Fliegeralarm bei Angriffen auf Berlin mit Brandwachen verkürzt. Auch besaßen wir eine geringe Lernmotivation, da wir ja Soldat werden sollten -- trotz aller Siegeshoffnung mit einem unsicheren Gefühl. Zudem hatten wir einen großen Garten für Obst und Gemüse, und ich betreute zur Fleischversorgung der Familie neben Hühnern bis zu 35 Kaninchen, die vor Schulbeginn zu füttern waren. Während der Schulzeit war ich in der Hitlerjugend bei der Nachrichtengruppe, und das wöchentliche „Strippenziehen“ zum Morsen und Telefonieren machte Spaß, ebenso das Skilager im Riesengebirge. Parteimitglied war ich nicht.
Da ich Forstmann werden wollte, war Voraussetzung die Meldung als „Kriegsfreiwilliger“. Doch bei der Musterung wurde ich wegen der trotz „Verödung“ bereits ausgeprägten Krampfadern nur als Gdv= garnisonsdienstverwendungsfähig eingestuft, was später unbeachtet blieb. Auch meine Magengeschwüre erforderten bereits zur Schulzeit einen Klinikaufenthalt zur „Rollkur“. Am 24. Juni 1943 wurde ich in die Oberprima versetzt mit dem Vermerk „Er hat sich bemüht, der Gesamterfolg reicht noch aus“ und erhielt am 3. August den Reifevermerk. Am 4. August wurde ich als Kriegsfreiwilliger mit einem „Not-Abitur“ sogleich für den RAD (Reichsarbeitsdienst) einberufen, zum Trockenlegen der Torfsümpfe bei Roskow im westlichen Havelland. Das waren drei bittere Monate, oft mit Schinderei und Schikane verbunden, meine erste harte Lebensschule. Aus dem RAD wurde ich am 15. Oktober entlassen und hätte eigentlich zurück zu meinen Klassenkameraden auf die Schulbank gehört. Doch als Kriegsfreiwilliger hatte ich ja bereits mein Not-Abitur! Aber selbst im Herbst 1943 wurden Kriegsfreiwillige als R.O.B. (Reserve-Offiziersbewerber) nur zu bestimmten Terminen einberufen, den „gewöhnlich Gemusterten“ war dies nicht vergönnt. So nutze ich die Zeit, um ab 3. November als Gasthörer die ersten forstlichen Vorlesungen bei meinem Vater und seinen Kollegen zu hören -- was mir später, in Freiburg sogar als ein Semester anerkannt wurde.
Am 1. Februar 1944, dem ersten Tag meines 18. Lebensjahres, wurde ich zum Panzerregiment 5 nach Neuruppin einberufen. Mein Kompaniechef war Horst Freyenhagen, zuvor Rektoratsassistent des Vaters an der Forstlichen Hochschule. So durfte ich nach seiner Prüfung des vorschriftsmäßigen Grußes bereits am ersten Sonntag die Kaserne verlassen zum Wiedersehen mit den Eltern. Nach zwei Wochen wurde eine kleinere Gruppe ausgewählt zur Spezialausbildung als Panzerfunker und -fahrer in Viborg, Dänemark. Die harte Ausbildung dauerte vier Monate. Den Führerschein machte ich am LKW mit Holzgasgenerator und konnte der Familie Lebensmittel senden. Ich bekam auch freundlichen Kontakt mit dem zuständigen Forstmeister, den ich später besucht habe. Mitte Juni ging es zur weiteren Spezialisierung auf eine Fahnenjunkerschule in Sagan, Niederschlesien. Doch im Herbst 1944 fehlten der Wehrmacht die Panzer, und ich wurde umgeschult zum Panzergrenadier, also Infanterist, bei dem Panzergrenadier Bat. 67 in Berlin - Spandau, was nach längerer Zeit direkten Kontakte mit der Familie ermöglichte.
Der Fronteinsatz begann Anfang November an der „Oderfront“ nördlich von Küstrin, nur 40 km von Eberswalde entfernt. Die Russen hatten bereits Brückenköpfe diesseits der Oder gebildet. Aufgabe unserer schwachen Frontlinie war es, tagsüber lokale Angriffe in einem brutalen Kampf zu überstehen und nachts die Feindberührung mit Spähtrupp abzutasten. Die Truppe war das letzte Aufgebot, eine Mischung aus älteren Reservisten, front-unerfahrenen Schreibstubenleuten, Männern der sogenannten Volksgruppe drei (östliche Minderheiten), oft Familienväter, geführt von uns, gleichfalls unerfahrenen Offiziersanwärtern. Als 18-jähriger Zugführer musste ich die Männer für den gefahrvollen Einsatz auswählen. So waren wir im Spähtrupp meist vorn, und nur wenige haben dies überlebt. Der grausige Klang der Stalinorgel klingt mir noch im Ohr. Ich blieb beim Fronteinsatz unverletzt, nur das rechte Trommelfell platzte dauerhaft durch den Luftdruck einer nahe eingeschlagenen Granate. Bei einem späteren Besuch der damaligen Stellungen fand ich die Gräber von zwei Kameraden meiner Gruppe mit Todesdatum zwei Tage nach meiner Rückversetzung.
Nach “erwiesener Tapferkeit vor dem Feind“ mit EK II und Beförderung zum Unteroffizier am 1.3. kam ich zur rückwärtigen Divisions- Führungsreserve in Wriezen, von wo erstaunlicherweise die Post ins nahe Eberswalde noch funktionierte. In einem Feldpostbrief zur Familie heißt es “seit zwei Tagen bekommen wir keine Verpflegung, weil wir vorn aus dem Graben keine Vergleichsmitteilung mitgebracht haben, glatter Hohn! Heute war der Führer hier, na ja…“ Das klingt leichtsinnig, denn die Post wurde ja kontrolliert, ist aber Ausdruck der Apathie durch die grausamen Fronterlebnisse und der als aussichtslos empfundenen Lage. Anfang März 1945 ging es nach Potsdam, zur Kriegsschule beim Infanterie Regiment 9, auch „Graf Neun“ genannt, wegen der zumeist adligen Soldaten. Im gleichen Gebäude hielt ich Juni 2003 beim Fachbereich Design der Fachhochschule Potsdam einen Bambus-Vortrag -- mit Erinnerungen an die damalige Zeit. Es waren nur wenige Wochen mit hartem Drill. Dann begann die sowjetische Großoffensive an der Oder und Neiße, und die Kriegsschule wurde zum Fronteinsatz aufgelöst. Wir waren drei Freunde mit Marschbefehl zur neu aufgestellten Entlastungsdivision “Döberitz“. Diese war auf dem Rückzug kaum noch lokalisierbar. Aber wir Idealisten wollten unsere unmittelbar bedrohte Heimat verteidigen, „koste es, was es wolle“. So meldeten wir uns Mitte März 1945 im Bahnhof Berlin-Friedrichsstraße beim Büro einer Truppe, die damals für Tapferkeit und Verlässlichkeit bekannt war, der Waffen SS. Ich hatte Glück, die Blutgruppe wurde nicht tätowiert, ich erhielt für meine Wehrmachtsuniform am Arm ein SS-Kennzeichen, nur das Soldbuch wurde durch Einlage aktualisiert, doch nach 46 Tagen, vor der Gefangenschaft, wieder voll bereinigt. Zunächst ging es in das Berlin nahe Oranienburg zur Ausbildung für den subversiven Einsatz hinter der heranrückenden Westfront. Dies erwies sich bald als illusorisch, und so kamen wir im Berliner Grunewald in Erdbunker, als Einheit zum besonderen Einsatz. Ich habe nur noch Erinnerungsfetzen an diese wirren Wochen, wie den Transport von Akten aus Reichsministerien und den Häuserkampf in Berlin mit einsickernden Russen. Doch einen Tag bevor Berlin am 24. April eingeschlossen wurde, kam unsere kleine Einheit nach Neu-Brandenburg, um gegebenenfalls Adolf Hitler aus dem eingeschlossenen Berlin mit dem „Fieselerstorch“ von Hanna Reitsch rauszuholen, nach dem Muster der Mussolini Befreiung durch Skorzeny.
Hitler wollte nicht, das war wieder mein Lebensglück.
Nun ging es in zunehmender Auflösung westwärts, wobei die Begegnung mit einer Kolonne verlegter KZ-Insassen mir deren Existenz erstmals erschreckend bewusst machte, auch wenn darüber geflüstert wurde. In der See-Enge bei Schwerin erwarteten uns am 2.Mai die Amerikaner, und ich ging erleichtert in die Gefangenschaft. Doch wir waren erstaunt, dass man uns Kampferprobte nicht zum späteren Einsatz gegen die Russen aufsparte, denn die kommende Konfrontation war zu erahnen. Stattdessen kam ich in ein sehr karges Gefangenenlager, nackter Boden, kaum Verpflegung, doch bereits in der zweiten Nacht gelang die Flucht mit großem Glück. Hungrig und unter ständiger Angst der Gefangennahme ging es mit dem Kompass Richtung Westen. Nach zwei Nächten stieß ich in Stapel bei Neuhaus an der Elbe auf eine Försterei „Grüner Jäger“. Der gute Förster Blaffert hatte Mitleid mit einem forstlich Interessierten und gab mir einen Heuschober als „Bleibe“. Als hilfreicher Knecht lernte ich, wie man Schafe schert, Kühe melkt, Butter macht und war auch im Wald tätig. Dieses Sein wurde jäh unterbrochen, als eine amerikanische Streife mich beim Bäume pflanzen aufgriff. Da ich zwar ein Soldbuch, aber keinen Entlassungsschein von der Wehrmacht hatte, wurde ich in ein übervolles Lager bei Neuhaus gesteckt. Bisweilen liest man von den Gefangenenlagern in den Rheinauen, und so war auch dieses, auf kahlem Boden, keine Decken, keine Latrinen, minimalste Verpflegung -- zum Aushungern bestimmt. Es wurde von ehemals polnischen Zwangsarbeitern scharf bewacht. Doch wieder bin ich geflüchtet, und die pfeifenden Schüsse sind in bleibender Erinnerung. Bei dem guten Förster erhielt ich erneut ein Versteck, und bei den Außenarbeiten war ich vorsichtiger.
Ende Juni 1945 erfolgte die Übergabe des von Amerikanern besetzten Mecklenburgs an die Russen im Austausch für einen Teil Berlins. Es begann eine gewaltige Bewegung der vom Osten angestauten Flüchtlingstrecks mit Viehherden und Fahrzeugen jeder Art in Richtung Elbe. So verließ ich am 30. Juni früh mein Waldquartier und marschierte 10 km zur Elbe, wo die Amerikaner mit Schnellbooten jeden Fluchtversuch mit Paddelbooten, Brettern oder auch Schwimmen gewaltsam verhinderten. Ich kam mit einem US-Soldaten in ein Minimalgespräch und für meine Armbanduhr und die Schnapsflasche vom Förster wurde ich unter einer Plane versteckt nördlich von Hitzacker an das Westufer gebracht. So stand ich am 30. Juni 1945 abends am westlichen Elbufer, ohne Verwandte oder Bekannte im Westen – eine Stunde Null- doch das Leben musste weiter gehen.
Zunächst suchte ich nach Lebenszeichen meiner Familie, nicht wissend, daß mein Vater als einziger Dozent in Eberswalde geblieben war. So kam ich nach einigen Tagen zum Forstamt Mariental, nördlich von Helmstedt an der Grenze zur sowjetischen Zone, wohin die Forstliche Hochschule einige Kisten mit Akten verlagert hatte. Der gute Forstmeister Allers und seine Frau ließen mich „Verlausten“ nicht wieder auf die Straße ins Unbekannte ziehen, sondern boten zunächst Unterkunft, die jedoch meine Heimstatt für zwei Jahre werden sollte. Ich wurde Waldarbeiter, begann als „Forstbeflissener“ die für ein Forststudium notwendige praktische Lehre und verdiente etwas Geld.
Zugleich konnte ich das nun ungültige “Notabitur“ durch einen halbjährigen Übergangskursus mit drei Fächern am Gymnasium in Helmstedt verbessern und erhielt damit die Studienberechtigung. Aber ich war nicht ordnungsgemäß aus der Wehrmacht entlassen, hatte daher keinen gültigen Ausweis und vor allem keine Lebensmittelkarte, was für meine Gasteltern recht erschwerend war. Doch ein der Familie befreundeter Eberswalder Arzt Dr. Bätge leitete in Helmstedt ein Militärlazarett. So bezog ich am 19. Februar 1946 ein Bett, bekam eine Krankengeschichte, am nächsten Tag durch einen englischen Militärarzt die offizielle Entlassung und mit der Lebensmittelkarte eine legale Existenz, am 20 Februar 1946 !
Noch eine Episode aus dieser Zeit. Als Forstbeflissener war ich viel im Wald tätig, konnte manchem Grenzgänger durch Schleichwege im vertrauten Wald helfen und hatte auch die Aufgabe, Holzsammler nach dem notwendigen „Leseschein für Brennholz“ zu fragen. So frug ich eines Morgens auch drei ehemals polnische Kriegsgefangene, damalige “D. P., Displaced Persons“, die mich Naiven auslachten und erschießen wollten. Aber drei später gefundene Zündhütchen funktionierten nicht, und so schlugen sie auf mich ein, bis ich „tot“ war. Waldarbeiter fanden mich, im Krankenhaus Helmstedt wurde ich „repariert“, und zurückgeblieben ist nur eine kahle Stelle auf dem Hinterkopf, die keinen frühen Haarmangel anzeigte. Der Fall kam in das damalige Braunschweigische Parlament, sodass Forstleute fortan Waffen tragen durften -- ungewöhnlich für 1946.
Im Sommersemester 1946 wollte ich an der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen in Hannoversch Münden studieren, wurde aber nach zwei Wochen wegen Überfüllung relegiert. Also zurück zum Forstmeister Allers. Im folgenden Wintersemester 1946/47 versuchte ich mein Studien-Glück in Freiburg und blieb dort zwei Jahre bis Ende Wintersemester 1948. Ich fand ein Zimmer bei einem lieben Fräulein Eugenie Schenck, pensionierte Lehrerin, beinah mietfrei, zwar ohne Heizung mit gefrorenem Wasser im Winter, doch mit Ausblick auf die Weinberge des Lorettoberg‘s. Ihr Neffe Wolf war als Schüler Hausgast. Unsere Verbundenheit blieb über die Jahrzehnte, und Wolf wurde 1959 Patenonkel unseres Stefans. Geistig ausgehungert saugten wir neben dem Fachlichen auch viel anderes auf, wie Vorlesungen beim Volkswirtschaftler Walter Eucken, dem Rechtsphilosophen Erik Wolf, dem Chemiker Hans Staudinger, später Nobelpreis für Kunststoffe, Hans Bender, dem Begründer der Parapsychologie, oder bei Gerhard Ritter über die Geschichte des Nationalsozialismus. Wir ahnten, welch hochkarätige Lehrer wir hatten. Doch im Tagebuch steht oft das Wort „Hunger“. Unter den meist regional beheimateten und daher versorgten Mit-Studenten war ich einer der wenigen, der von der in der französischen Zone besonders kargen Lebensmittelkarte leben musste. Zudem war das Geld zum Leben und Studieren mühsam zu verdienen, durch Trümmerräumen, Wald- und Gartenarbeit, u.a. bei der Witwe des Nobelpreisträgers Spemann, auch durch Verkauf der Tabakkarte. In den Semesterferien war ich mal Knecht bei einem schweizerischen Bauern nahe Liestal/Basel, dem wegen seiner rüden Behandlung die Einstellung Schweizer Hilfen untersagt war, was für deutsche Studenten nicht galt. Das sind schlechte Erinnerungen. Doch in Dankbarkeit erinnere ich mich an das lebensfördernde Auffüttern der ausgesucht magersten Studenten durch die Quäker im malerischen Bernau, Schwarzwald. Die in Eberswalde 1943/44 gehörten und längst vergessenen Vorlesungen wurden großzügig als volles Semester anerkannt, was viel Geld sparte. So konnte ich bereits nach drei Semestern das Vorexamen, mit „sehr gut“ ablegen, nicht nur durch den erzwungenen Fleiß, sondern auch durch mein damals gutes photographisches Gedächtnis. Doch haben wir, die den Krieg überlebt hatten, das Leben auch intensiv genossen. So enthält das Tagebuch 1947: 37 Filme, 24 Theater, 10 Konzerte, 16 Tanzveranstaltungen.
Die Fachsemester 1948/49 -- 49/50 folgten im beschaulichen Hannoversch Münden, der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen. Die der heutigen Diplomarbeit kaum entsprechende Seminararbeit behandelte „Grundlagenforschung zur Biologie von Peridermium pini in einem oldenburgischen Revier“, als ein Arbeitsgebiet des Vaters frühe Interessen anzeigend. Das Diplom-Examen folgte im März 1950, die Promotion im Februar 1951, mit „Untersuchungen über die Bedeutung der Holzstruktur für das Eindringen öliger Schutzmittel“, auch ein dem Vater nahes Thema. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Herbert Zycha, verdanke ich viel, u.a. seinen familiären Kontakt zu den Brüdern Ruska in Berlin, von denen Ernst Ruska als Miterfinder des Elektronenmikroskops den Nobelpreis erhielt, damals ein faszinierendes Instrument zum Sehen des bislang Unsichtbaren. So konnte ich bereits 1950 einige Untersuchungen in Berlin bei seinem Bruder, dem Mediziner Helmut Ruska durchführen, und die Dissertation enthielt das erste elektronenmikroskopische Bild von der unbekannten Mikrowelt des Holzes, insbesondere über den Feinbau der wichtigen Hoftüpfel.
Die experimentellen Versuche für die Dissertation erfolgten in einem Kellerraum des Instituts. Dort erschien im Herbst 1949 ein junges Mädchen, Elsa-Katrin Pabst, die für ihren Champignon züchtenden Vater, dem „Pilz-Pabst“ in Hilter/T.W., mykologische Grundlagen erlernen sollte. Nach wenigen Tagen schrieb ich meinem Vater, ich hätte die Frau kennengelernt, die ich heiraten würde, obwohl wir noch keinerlei gemeinsame „Erlebnisse“ hatten. Gleich nach der Promotion im März 1951 verlobten wir uns und heirateten nach meiner festen Anstellung am 14. März 1952. Von der Familie in Eberswalde durfte nur meine Mutter teilnehmen, Vater und Schwester erhielten keine Genehmigung.
Die Stellenaussichten für Forstleute waren ziemlich hoffnungslos, auch bedingt durch die vorrangige Unterbringung der aus dem Osten geflüchteten Förster, meist mit Familie. Nur wenige von uns haben das Lebensziel Forstamt erreicht. So verzichtete ich auf die vorgesehene Referendarzeit und hatte das große Glück einer Assistentenstelle zum 1.April 1952 an der Forstlichen Versuchsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen in Lintorf, nahe Düsseldorf. Aufgabe war der Bau einer experimentellen Versuchsanlage zur Messung von Wurzel-/Sproßatmung, Transpiration etc., worüber der Leiter, Dr. E. Eidmann, in Eberswalde sich habilitiert hatte. Er war ein ideenreicher, weltgewandter Chef, der vor dem Krieg forstliche Probleme Indonesiens bearbeitet hatte und auch Bambus besehen hatte. Er pflegte gesellschaftliche Verbindungen zu den Konzernchefs des Ruhrgebietes, die der Mangel an Grubenholz für die lebensnotwendige Kohlegewinnung plagte. Als Reparationsleistung wurden die Wälder zumeist abgeholzt und das Holz nach England und Frankreich exportiert oder als Papierholz weggekauft. So wurde ein siebenköpfiger Verein in strenger Verschwiegenheit gegründet, mit mir als arbeitendem Sekretär, um Bambus aus Indonesien zu importieren als Ersatz für die Grubenstempel. Das war nicht erfolgreich, denn der Bambushalm platzt bei Druckbelastung zwischen den Knoten ohne das für die Bergleute warnende Knistern eines belasteten Holzstempels. Zugleich hatte ich wieder Glück, denn in Düsseldorf entstand ein “Institut für Übermikroskopie“ durch Prof. Bodo v. Borries, dem an der Entwicklung des Elektronenmikroskops beteiligten Schwager der Brüder Ruska. So konnte ich abends meine Berliner Holzuntersuchungen weiterführen und in forschender Neugier auch mit Resten des „Grubenholz“-Bambus experimentieren, was ungeahnte Folgen haben sollte.
Als „Ständiger Gast“ habe ich die elektronenmikroskopischen Untersuchungen auch später von Mannheim und Freiburg fortsetzen können.
Einschneidend war der Unfalltod meines Vaters am 11. Juli 1952 auf einer Dienstreise, im 60. Lebensjahr. Meine Mutter war 55-jährig, Schwester Hildegard 9 Jahre. Nach der Entlassung als Hochschullehrer am 21.11. 1945 war mein Vater in der Harznutzung tätig, wurde 1949 rehabilitiert und konnte wieder in Forschung und Lehre arbeiten. Ihm war es nicht vergönnt, meine weitere Entwicklung zu erleben, die eng seine Arbeiten fortsetzte. Er hat mir in der Forschungsfreude oft zur Diskussion gefehlt. Meinen ersten Vortrag „Elektronenmikroskopische Beobachtungen von Hoftüpfeln“ am 20.9.1951 bei der Deutschen Botanischen Gesellschaft in Berlin konnte er noch erleben, und dies hat uns beide sehr bewegt. Die hohe Wertschätzung seiner Leistungen wurde zum 50. Todestag durch eine Gedenkveranstaltung mit Vorträgen seiner früheren Studenten und Kollegen geehrt. Ich erhielt das Angebot seiner Nachfolge, und das war für einen 26-jährigen mit starker Vater-Bindung eine große Verpflichtung. Doch fühlte ich mich für die Aufgaben in Eberswalde nicht genügend qualifiziert, auch zeichnete sich 1952 bereits die Entwicklung der DDR ab, und im Gedanken an spätere Kinder blieben wir in Lintorf/Düsseldorf.
Zugleich entstanden Probleme mit meinem Chef, und das beendete die vertraute Beziehung am 31.8.1952.
Ich hatte wieder Glück und erhielt zum 15.9. ein Angebot der Holzschutzindustrie, Firma Weyl der Rütgerswerk, Mannheim. Mein Vater hatte einen guten Namen im Holzschutz, und meine Promotion behandelte innovativ ein ansprechendes Thema. Die Industrietätigkeit war eine wichtige Erfahrung für meine wissenschaftliche Entwicklung und die späteren Lehraufgaben. Doch mit Grauen erinnere ich mich an den sorglosen Umgang mit den damals ungleich giftigeren Holzschutzmitteln; so waren die Böden der Kesseldruck-Imprägnieranlagen durch abtropfende Schutzmittel kräftig verfärbt. Ein Umweltbewusstsein bestand kaum. Wir wohnten sehr bescheiden in dem stark zerstörten Mannheim. Im Januar 1953 folgten Mutter und Schwester aus Eberswalde im „Rahmen der Familienzusammenführung“. Doch ich merkte, dass meine idealistische Vorstellung von der Industrie, kooperativ für ein gleiches Ziel arbeitend, zu optimistisch war, und verfahrenstechnische Vorschläge zum Wissen anderer wurden.
So war das Angebot einer Assistentenstelle am Forstbotanischen Institut der Universität Freiburg sehr willkommen, wiewohl mit einem erheblich geringeren Gehalt. Meiner Frau war ich für ihre drängende Zustimmung sehr dankbar. Doch wohnten wir in den ersten 2 1/2 Jahren an drei Orten.
Mutter und Schwester folgten von Mannheim nach Freiburg.
Die sechs Freiburger Jahre vom 26.7.1953 bis 31.10.1959 gehören zu unseren schönsten; die Söhne wurden als Freiburger „Bobbele“ geboren, Andreas 1954, Stefan 1959. Wir waren trotz dreimaligem Wohnungswechsel glücklich, feierten ausgiebig mit unseren Freunden -- wiewohl ich wegen böser Magengeschwüre auf den köstlichen Wein weitgehend verzichten musste. Mein Chef, Prof. Dr. Dr. Hans Marquardt, war hochbegabt, fordernd und fördernd. Sein erster Doktor galt der Musikwissenschaft, und seine Interessen waren neben der Forstbotanik vor allem die Mutationsgenetik von Mikroorganismen und die Wirkungen von Strahlen und Chemikalien. In diesen Jahren schrieb er bereits zwei roro Bücher, u.a. mit dem Hamburger Gynäkologen Schubert, über die Gefährdung des Menschen durch Atomenergie und Strahlen, als diese Gefahren kaum diskutiert wurden. Ich las die Entwürfe für Korrekturen. Durch seine weitgehenden Interessen war auch meine intensive Mitwirkung an der Lehre und den Verwaltungsaufgaben gefordert. Das war eine harte und lehrreiche Schule.
Wesentlich für meine spätere Entwicklung war der Informationsbesuch eines indischen Wissenschaftlers, Dr. A. Purushotham, zur Förderung der aktuellen Holzschutzprobleme seines Landes. Meine Industrieerfahrungen zur Teeröl-Imprägnierung von Masten interessierten ihn kaum, denn sein Anliegen war der Bambus. So war er fasziniert von den in der Schublade ruhenden Düsseldorfer Bambusbildern, denn mit dem wundervollen Elektronenmikroskop könne ich wohl die Probleme der Bambusimprägnierung lösen. So kam ich nach der Habilitation am 14.11.1957 für “Forstbotanik und Holzbiologie“ mit der Habilitationsschrift „Der Feinbau der verholzten Zellwand“ bereits Mitte Dezember für 5 Monate nach Indien. Ich war mit 31 Jahren ein „Greenhorn“ für dortige Begriffe, zumal ich ihren lebenswichtigen Bambus als Pflanze noch nie gesehen hatte, und entsprechende Literatur nicht verfügbar war. Mein Schul-englisch war miserabel, da ich auf dem Gymnasium Latein und Griechisch, aber wenig Englisch gelernt hatte. Doch meine Frau konnte dies vorzüglich und war meine versierte Begleiterin. So flog ich als Experte der FAO mit der Super-Constellation 1. Klasse und Bett mit ihr nach New Delhi für 4 ½ Monate, 16.12.1957 -- 2.5.1958. Die Aufgaben am Forest Research Institute, Dehra Dun, waren interessant und die Arbeit erfolgreich, mit 8 folgenden Einsätzen allein in Indien, nicht nur für Bambus, sondern auch zur Kühlturmimprägnierung u.a.. Mit der 2. und 3. Generation meines damaligen Kollegen sind wir nach 50 Jahren noch befreundet. So traf ich die nunmehrige Großfamilie im März 2012 bei einem Besuch des Sohnes in Goa, Südindien, und die Tage waren gefüllt mit unseren Erinnerungen. Die Bambus-Expertise war zugleich Beginn eines „Zweitlebens“, denn bereits drei Monate nach Heimkehr folgte eine FAO Holzschutzexpertise in Indonesien vom 6.August bis 2. September mit anschließender Einladung zu drei Monaten Arbeit am CSIRO, Division for Forest Products, in Melbourne, Australien und auf dem Heimflug mit Vorträgen in Berkeley und Syracuse, USA, sowie einer Evaluierung bei der FAO, Rom.
Rückkehr zur Familie am 23.12. 1958, kurz vor Mitternacht !
Für einen jungen Wissenschaftler mit Zukunftserwartung war ein Ortswechsel angezeigt. Wieder hatte ich Glück und erhielt zum 1.11. 1959 eine Dozentur am Forstbotanischen Institut der Universität München, mit der Planung, später einen neu zu errichtenden Lehrstuhl für Holzbiologie wieder in Freiburg zu übernehmen. Der Institutsleiter, Prof. Bruno Huber, war „der Große“ in der Forstbotanik, schöpfte bei seinen grandiosen Vorlesungen ohne jegliches Skript aus dem Gedächtnis und war als Südtiroler für seine meisterlichen Exkursionen in die Alpen bekannt. Zwei Wochen nach meinem Dienstantritt bekam er einen Herzinfarkt, und ich hatte die Verantwortung für Lehre, Verwaltung und Exkursionen, neben der erwarteten wissenschaftlichen Produktivität. So wurde es wieder eine harte Zeit, auch für das familiäre Einleben im nördlich gelegenen Feldmoching. Zudem habe ich für Pflanzennamen kein gutes Gedächtnis, und für die zahlreichen Exkursionen musste ich zuvor mit meiner Frau und Bestimmungsbuch die Strecke ablaufen. Auch die Exkursionen in die Alpenflora mit den bayerischen Forststudenten, oft gedienten Gebirgsjägern, gehören zu den schlimmen Erinnerungen eines Flachländers.
Mutter und Schwester folgten wieder von Freiburg nach München. Meine Mutter hatte ein schicksalsschweres Leben und trug schwer daran. Sie war sozial engagiert, meist in der Bahnhofsmission. Schwester Hildegard heiratete 1961 und übersiedelte mit ihrem Mann nach Madison, Wisc., USA, wo Angelika 1961, Susanne 1963 und Johannes 1968 geboren wurden. Nach Rückkehr 1970 nach München wurde Rüdiger 1974 geboren.
1962 kam der Ruf auf den Lehrstuhl für Holzbiologie der Universität Hamburg. Da ich der prospektive Nachfolger des Münchener Forstbotanikers werden sollte, war wieder ein Ortswechsel notwendig, um eine eventuelle spätere „Hausberufung“ zu vermeiden. So begann ich am 1.April 1963 meine Arbeit im Schloß Reinbek. Wir wohnten etwas provisorisch in einem kleinen, idyllisch gelegenen Holzhäuschen im Otternweg 11, in Aumühle, nahe Reinbek, und die Kinder fühlten sich in der Freiheit des Waldgrundstücks sehr wohl, doch der Schulweg nach Reinbek, bzw. Wentorf war lang.
Meine Mutter war des Nachziehens müde, sie hatte in München ihren eigenen Lebensraum gestaltet mit der Bahnhofsmission, und hoffte auf meine spätere Rückkehr nach München. Sie verstarb 1978 friedvoll umsorgt. Meine Schwester Hildegard entschlief 2011 nach langer Krankenzeit. Mit ihren Kindern, Johannes und Angie in Hannover und Rüdiger in München, habe ich als Onkel herzliche Familienbeziehungen. Meine Nichte Susanne wählte 2008 den Freitod.
Meine Stellung als Professor für Holzbiologie beruhte auf einem Staatsvertrag zwischen der Universität Hamburg und dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Bonn, wobei zur Durchführung des damals nur in Hamburg angebotenen Studiums der Holzwirtschaft die Universität und das Bundesministerium eng zusammenarbeiteten. In der Praxis bedeutete dies, dass Lehre, Forschung und Verwaltung Universitätsaufgaben sind, zugleich aber ein Institut der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) zu leiten ist, ebenfalls mit Forschung und Verwaltung, doch mit teils unterschiedlicher Zielsetzung. Auf dem Schreibtisch standen die Telefone der beiden Dienstherren. Um die Gleichstellung der Vertragspartner zu betonen, leitete abwechselnd ein Institutsdirektor der Universität oder BFH die gesamte Bundesforschungsanstalt mit damals sechs Instituten. Voll mit dem Aufbau des Instituts und der Anleitung von Diplomanden und Doktoranden beschäftigt, erkrankte der amtierende Präsidierende Direktor, Prof. Johannes Weck, und ich hatte zeitbegrenzt noch die Leitung der Bundesforschungsanstalt zu übernehmen. Das waren wieder beträchtliche Anforderungen, zumal für einen begeisterten und auch ehrgeizigen Wissenschaftler - ich war 37 Jahre alt. Es waren schwere Jahre, auch für meine Familie.
Am 2.6.1966 erhielt ich den prospektierten Ruf auf den angesehen Lehrstuhl für Forstbotanik in München. Rufe sind für einen Wissenschaftler Sternstunden, in denen er seine Arbeitsbedingungen verbessern kann. Nach quälend langen Verhandlungen über 1 ½ Jahre hinweg mit zwei zuständigen Ministerien in München habe ich am 26.12 1967 abgesagt, wiewohl das dortige Gehaltsangebot wesentlich höher war. Den Ausschlag gaben die hiesigen besseren Arbeitsbedingungen, die besseren internationalen Möglichkeiten und besonders die gewachsene Gemeinschaft mit den Kollegen, Mitarbeitern und Studenten. So erhielt ich als Dank am 15. Januar 1968 ihren Fackelzug vom Bahnhof Aumühle bis zum Otternweg, ein ungewohntes Schauspiel. Im gleichen Jahr war ich im Talar zugegen, als bei der Rektoratsübergabe der hinlänglich bekannte Spruch “Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ voran getragen wurde. Unser Campus in Lohbrügge war in dieser aufbegehrenden Zeit eine relative Oase der Arbeit in Ruhe, zumal die Bundesforschungsanstalt mit Pförtner und Schranke das Hausrecht hatte.
Nach dieser Standortsentscheidung wollten wir von Aumühle nach Reinbek in ein eigenes Haus.
ziehen. Wieder war Horst Freyenhagen von hilfreichem Einfluss. Er arbeitete in Reinbek am Institut für Forstliche Arbeitswissenschaft der BHF und wohnte in der Bernhard Ihnenstraße. Für ein nahe liegendes Grundstück der Forstverwaltung bestand eine Baugenehmigung und seine forstlichen Kontakte haben zur Realisierung beigetragen. So sind wir Ende 1968 von Aumühle nach Reinbek, Bernhard Ihnenstr. 2 F. in unser eigenes Haus, ein „Fertighaus“, gezogen, das von Katrin mit ihrer architektonischen Begabung wesentlich konzipiert war. Doch zum Einzugstermin war es nicht bezugsfertig, sodass wir zunächst beengt im Hotel wohnen und das Mobiliar verstreut unterstellen mußten.
Die achtundzwanzig offiziellen Arbeitsjahre in Reinbek und ab 1970 in Hamburg-Lohbrügge bis zur Emeritierung am 31.März 1991 galten drei Bereichen: Lehre, Verwaltung und Forschung.
Die Lehre sah ich als primäre Aufgabe meiner Berufung. Sie war arbeitsaufwendig, insbesondere durch die stete Aktualisierung der verschiedenen Vorlesungen. Doch habe ich gern gelehrt und über die Jahre mit vielen positiven Erinnerungen. Der Kontakt mit den Studenten im Unterricht und im offenen Gespräch, auch bei den Exkursionen, ist eine erfrischende Lebensaufgabe, die munter fordert und fachlich informiert hält.
Durch meine frühen Ostkontakte unternahmen wir bereits vor der Wende Exkursionen nach Polen, Ungarn und in die Tschechoslowakei. Auch die Betreuung von über 100 Doktoranden und Diplomanden ergab engen menschlichen Kontakt mit vielfach lieben Erinnerungen und auch lebenslanger Freundschaft, wie mit dem späteren Professor Dr. Dr.h.c.Ulrich Ammer, dem ersten Diplomand 1957 in Freiburg und ersten Doktorand 1963 in München, oder Prof. Dr. Dirk Dujesiefken, Diplomand 1981 und Doktorand 1985 in Hamburg.
Die Verwaltungsaufgaben waren durch die hiesige Vertragssituation und die 1968er Folgen sehr zeitaufwendig. So habe ich mit sechs Kollegen gegen das Hamburger Universitätsgesetz 1979 mit der Drittelparität beim Bundesverfassungsgericht geklagt, da in den Entscheidungsgremien die Professoren keine Mehrheit hatten, und wir bekamen Recht! Doch als Folge wurden Dozenten und auch qualifizierte Doktoranden zu Professoren ernannt und erfüllten in den Gremien zum Ende der langen Sitzungen die Drittelparität.
Bei all diesen Aufgaben ist die Wissenschaft nicht zu kurz gekommen, wenn auch auf Kosten der Freizeit und des Familienlebens.
Für meine wissenschaftliche Entwicklung hatte ich einen guten Start, bei dem Leistung und Ansehen des Vaters hilfreich waren. Doch es brauchte Zeit, bis aus dem “jungen Liese“ über den „Tüpfel Liese“ dank elektronenmikroskopischer Befunde der „Walter Liese“ wurde. Von Beginn hatte ich interessante Aufgaben und Themen, moderne Methoden und vorzügliche Mitarbeiter, Kollegen, Doktoranden und Diplomanden. So bin ich dankbar für eine reiche Ernte in einem großen Bereich, Holzanatomie, Holzbiologie, Holzpathologie und Holzschutz, sowie Bambus und Rattan. Insgesamt sind rund 500 wissenschaftliche Publikationen mit sechs Büchern sowie 200 Arbeiten allgemeineren Inhalts zu verzeichnen, dazu Vorträge in etwa 50 Ländern.
In der Außenwirkung sind besonders die Reisen sichtbar. In der Tat bin ich viel gereist und war in rund siebzig Ländern tätig als wissenschaftlicher Kollege und für Aufgaben der Entwicklungshilfe, von Ägypten und Äthiopien bis Venezuela und Vietnam.
Anlass für diese Reisen waren drei Bereiche:
1. Die Wissenschaft: da ich interessante Ergebnisse hatte, nahm ich früh an zahlreichen Kongressen und Kolloquien teil und war Gastforscher in Melbourne, Harvard, Berkeley, Christchurch, Nanjing, Valdivia und Taipeh.
2. Die Entwicklungs- oder Technische Hilfe: sie führte in zahlreichen Ländern zu kürzeren und längeren Beratungen, meist für Holzqualität und Holzschutz, Bambus und Palmen.
3. Das Wissenschaftliche Management: ich war in zahlreichen Organisationen tätig, u.a. 1976-1981 als Präsident des Internationalen Verbandes Forstlicher Forschungsanstalten (IUFRO), der ältesten internationalen, wissenschaftlichen Organisation, gegründet 1892 in Eberswalde, mit seinerzeit Mitgliedern aus dreiundneunzig Ländern. So leitete ich 1981 den XVII IUFRO Weltkongress in Kyoto, von den Gastgebern vorzüglich organisiert. Zur Erinnerung wurde mit der Kronprinzlichen Hochheit der formschöne Bambus Phyllostachys aureosulcata mit einem Gedenkstein gepflanzt. Dies besah der Enkel Timo auf einer Japanreise März 2013, zusammen mit einem damaligen Kollegen. Zu dem Kongress gelang es - nach hochrangigen Vorgesprächen in Beijing und Taipeh - erstmals nach der Kulturrevolution Wissenschaftler aus der Volksrepublik China und Nationalchina zusammenzubringen, als “China-Beijing“ und “China-Taipeh“, ohne die üblichen Flaggen. Da zu dieser Zeit deutsch-deutsche Begegnungen fast unmöglich waren, war ich mit unseren chinesischen Kollegen, z.T. Studienfreunde, emotional dankbar-glücklich. Meine IUFRO Funktion konnte ich durch die Tätigkeit in Ländern der „Dritten Welt“ auch für eine stärkere Zusammenarbeit einsetzen mit Institutionen und Kollegen in Ost-Europa, Afrika, Asien und Süd-Amerika.
Auf vielen Reisen begleitete mich Katrin, und die Kinder gingen 1964 in Berkeley/San Francisco zur Schule. Katrins zahlreiche, so lebensnahe Reisetagebücher sind mir ein wertvolles Vermächtnis.
Bei den Reisen sind die Kontakte mit Freunden in der DDR erwähnen. Vor dem Mauerbau war ein Verkehr zwischen West- und Ost-Berlin noch möglich, jedoch erschwert in die „Zone“, nach Eberswalde. So traf ich die Familie bei meinem Freund Hans Joachim öfters in Ost-Berlin. Auch bin ich zur Familie in Eberswalde mit Auto oder Bahn gereist, penibel registriert von der Stasi.
Später konnte ich eine größere Menge von Beobachtungs-Akten eingesehen, so auch den Kontakt mit Kollegen, die man nicht als Stasi-Zuträger wähnte, oder die Beschreibung eines Besuches der Forstlichen Fakultät Tharandt Oktober 1971, wo ein ausführlicher Bericht endete “…..habe Prof. Liese zum Zug begleitet und ihm eine Flasche Sekt (S.U.) überreicht“.
Am 31. März 1991 wurde ich emeritiert, d.h. von den offiziellen Pflichten entbunden, aber mit der Möglichkeit weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten. Die Befreiung von den Amtsaufgaben und der manchmal belastenden Verantwortung für Personen, Sicherheit, Programme und Geräte hat mich sehr erleichtert. Ich habe im Institut ein Arbeitszimmer, Kontakt mit Kollegen und auch Studenten, Zugang zur aktuellen Literatur und bleibe noch in der fordernden Diskussion, auch beim Publizieren. Zudem gab es zahlreiche Vorträge im In- und Ausland, sowie interessante Aufgaben und Reisen, u.a. als Koordinator eines deutsch-französischen Waldschadenprogramms EUROSILVA und für Projekte der Technischen Hilfe der EG, CIFOR, FAO, ITTO, UNIDO und UNDP in etlichen Ländern.
Die frühere Vorstellung des Ruhestandes mit der Zeitung nach dem Frühstück ist noch ein etwas befremdlicher Wunsch. Ich hatte und habe einen idealen Beruf, gleichsam als Hobby, mit großer Freiheit zur selbstverantwortlichen Ausgestaltung und mit den Vitalitätsspritzen durch die Freude an mancherlei Erfolgen und den fordernden Kontakten mit Kollegen - dank @-mail - weltweit mit munteren Studenten. So bin ich Ehrenmitglied in Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften mit Ehrungen in zwanzig Ländern, Ehrenprofessor in Nanjing und Ehrendoktor der Universitäten Sopron, Istanbul, Poznan, Zvolen und Budapest. Hieraus eine Episode: Als ich 1986 den Ehrendoktor der Technischen Universität Zvolen, in der östlichen Slowakei, erhalten sollte, versorgte mich der Kollege nach Ankunft am Flugplatz Bratislava mit reichlich Alkoholika, bis er berichten konnte, dass die ausgedruckte Ehrung nicht stattfinden könne. Zwar hätte das vorgeschaltete Zentralkommittee in Prag zugestimmt, aber der zur Ausgewogenheit vorgeschlagene Kollege aus Leningrad hätte vom ZK in Moskau keine Genehmigung erhalten. Dann fuhren wir nach Zvolen zur geänderten akademischen Feier. So war ich im folgenden Jahr wieder in Zvolen, und zugleich wurde ein Kollege aus Sofia geehrt.
Bei all diesen vielfältigen Aktivitäten blieb und bleibt wenig Zeit zur Entwicklung anderer Interessen. Befragt nach den Gründen für ein solch ausgefülltes und erfolgreiches Leben, antworte ich oft, dass ich interessiert bin und mit Freude meist etwas länger arbeite. Auch habe ich die Schwäche eines kaum geminderten Zeitoptimismus. Begünstigt hat mich eine relativ gute Gesundheit. Die Krampfadern belasten mich seit der Jugend, und einige innere Probleme wurden durch die hohe Kunst unserer Ärzte stabilisiert.
Meiner lieben Katrin verdanke ich viel für meinen erfüllenden Beruf, vor allem Geduld und Einfühlung in das arbeitsbetonte Leben. Die vielen gemeinsamen Reisen in die weite Welt waren ein kleiner Ausgleich, zumal für ihr großes Interesse an der Vor- und Frühgeschichte. Die Tiefe des Schmerzes haben wir erlebt, als unser jüngerer Sohn Stefan am 1. September 1979 zwanzig jährig nach langem Leid am Gehirntumor im hiesigen Krankenhaus verstarb.
Unser älterer, Andreas, 7. Mai 1954, beendete nach 25 Jahren „Body Shop“ 2003 seine Tätigkeit als selbstständiger Kaufmann in Hamburg und wandte sich dem Verlagswesen zu. Er ist aktiv mit der weltweiten Distribution von E-books beschäftigt. Für diese Tätigkeit benötigt er einen funktionierenden Internet-Anschluß und lebt in unseren kalten Monaten zumeist in Goa, Süd-Indien. Andreas hat 2013 in München wieder geheiratet, und so habe ich zwei liebe Schwiegertöchter, Marion und Claudia, mit engem Kontakt. Der Enkel Timo wird zum Berufspiloten ausgebildet.
Meine Katrin wurde in ihren letzten Lebensjahren zunehmend schwächer und kam am 14. Februar 2011 in das benachbarte Pflegeheim Kursana zur guten Betreuung.
Am 23. Mai verstarb sie in meinen Armen, 83-jährig, nach 60 gefüllten Ehejahren.
Seitdem bin ich allein mit großem Haus und Garten, aber nicht einsam.
Gute Freunde geben Hilfe und Wärme, wie der wöchentliche Kontakt mit Uschi und Georg Eisenhauer, vertraut seit unserer Studienzeit in Hannoversch Münden. Auch die Verbundenheit mit Elisabeth Wollenberg seit dem Beginn 1963 im Schloß Reinbek ist wichtig. Der regelmäßige Besuch von Angie, Hannes und Rüdiger festigt die familiäre Verbundenheit.
Das rotarische Miteinander stärkt, und die andauernde Passion für den Bambus bringt interessante Aufgaben mit Kraft und auch Freude zum Leben. Auch das Mitwirken in einem russisch/deutschem Chor gibt Ablenkung.
Dankbar bin ich, dass die lange Freundschaft von Katrin mit Doris Debus mir erhalten blieb.